Tönnies‘ Klimaziele
Tönnies hat Anfang 2020 seine Nachhaltigkeitsstrategie mit dem Namen „Agenda t30“ veröffentlicht und gibt an, dass es bis 2030 plane, seine CO2-Emissionen im Bereich Transport teilweise zu senken und 90 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien zu beziehen.
Auf seiner Webseite bezeichnet Tönnies Deutschland als “Gunstregion für die Herstellung von Fleischprodukten” und erklärt, dass die Klimaschutz-Vorgaben in Deutschland dafür sorgten, dass die Klimabilanz von Tönnies bereits jetzt “weltweit Maßstäbe setzt“.
In Tönnies hauseigenem Podcast erklärt der geschäftsführende Gesellschafter Clemens Tönnies, dass sich Tönnies mitten in der Transformation hin zur Klimaneutralität befände. Clemens’ Tönnies Sohn und Mitgesellschafter Maximilian sagte zudem, Ziel von Tönnies sei es, “das nachhaltigste und beste Fleisch der Welt” zu produzieren. Das Unternehmen müsse außerdem verstärkt mit Journalist*innen und Politiker*innen in den Dialog treten, um zu zeigen, “wie gut wir de facto schon unterwegs sind.”
Tönnies‘ Emissionen
Tönnies stellt keine Informationen über seinen Treibhausgasausstoß öffentlich zur Verfügung. Laut einem Bericht der Umweltorganisationen GRAIN und des Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) aus dem Jahr 2018 betragen die jährlichen Gesamtemissionen von Tönnies 10,9 Mt CO2e. Tönnies widerspricht dieser Einschätzung und meint, dass die Emissionen nicht wissenschaftlich belegt, sondern lediglich geschätzt worden seien. Außerdem kritisiert das Unternehmen, dass Scope 3 Emissionen in die Berechnung eingeflossen sind, diese jedoch “unabhängig davon an[fallen], wo die Tiere geschlachtet und verarbeitet werden.”
GRAIN und das IATP verwendeten für die Berechnung ein von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) entwickeltes Modell, das neben Scope 1 und 2 auch Scope 3 Emissionen umfasst. Unter Scope 1 und Scope 2 Emissionen sind Emissionen zu verstehen, die durch direkte Aktivitäten eines Unternehmens oder Aktivitäten innerhalb seines Geltungsbereichs entstehen, sowie Emissionen, die aus dem Energieverbrauch des Unternehmens resultieren. Scope 3 Emissionen entstehen durch alle übrigen Aktivitäten eines Unternehmens und stammen aus Quellen, welche das Unternehmen weder besitzt noch kontrolliert, wie beispielsweise Landnutzung und Landnutzungsänderungen, inklusive der Abholzung, die im Rahmen von Tierfuttermittelproduktion entsteht, sowie weitere Emissionen von Agrarbetrieben, die Fleischhersteller mit Tieren beliefern.
Für die Herstellung eines Kilogramms Schweineschnitzel gibt das Unternehmen auf seiner Webseite einen eigens in 2011 ermittelten CO2-Fußabdruck von 3,5 kg CO2 an. Dabei wurden andere Treibhausgasemissionen aber nicht miteinbezogen. Laut einer Studie des World Resources Institute (WRI) aus dem Jahr 2020, die von dem dänischen Agrarverband Landbrug & Fødevarer teilfinanziert wurde, verursacht in Deutschland produziertes Schweinefleisch pro Kilogramm stattdessen 11,24 kg CO2-Equivalente. Für die Berechnung verwendete das WRI eine Lebenszyklusanalyse, die auch Scope 3 Emissionen berücksichtigt, die durch Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF) entstehen, wie beispielsweise Futteranbau oder Abholzung.
2019 sagte Maximilian Tönnies in einer Pressemitteilung, das Unternehmen strebe im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsstrategie an, dass “ein Kilo Tönnies Fleisch nicht mehr Emissionen verbraucht als ein Kilo Reis.” Das würde also weniger als 0,9 kg CO2e pro Kilogramm bedeuten – laut einer in Nature Reviews Earth & Environment veröffentlichten Studie ist das der globale Durchschnitt der Treibhausgasemissionen bei der Produktion von einem Kilogramm Reis.
Tönnies betont den kleinen Anteil der Landwirtschaft an den nationalen Gesamtemissionen
Auf seiner Webseite verweist Tönnies auf das Umweltbundesamt (UBA), laut dem der deutsche Landwirtschaftssektor im Jahr 2017 7,3 Prozent der nationalen Gesamtemissionen verursachte, während fossile Brennstoffe für Heizung, Stromerzeugung und Verkehr 84,9 Prozent der Treibhausgas-Emissionen ausmachten. Die Produktion von Fleisch, Milch, Butter, Eiern und Käse sei für insgesamt 3,79 Prozent der nationalen Emissionen verantwortlich. Das Unternehmen schreibt: “Wissenschaftler haben berechnet, dass eine Halbierung des Fleischverzehrs in Deutschland nur so viel Einsparung an Treibhausgas-Emissionen bringen würde wie der Ersatz von zwei Prozent der Emissionen durch Braunkohle mit Windenergie.”
Laut einer Studie der NYU aus dem Jahr 2021 machen sich Fleischunternehmen, “hohe nationale Gesamtemissionen zunutze und stellen Emissionen in relativen Prozentsätzen statt in absoluten Zahlen dar,” um die Klimawirkung der Industrie herunterzuspielen.
Laut einem Greenpeace-Bericht aus dem Jahr 2021, kategorisiert das UBA die Emissionen „nach international einheitlichen Vorgaben“, bei denen die Emissionen, die „beim Futtermittelanbau und durch Landnutzung (z. B. entwässerte Moore) entstehen, […] anderen Sektoren [als der Landwirtschaft] zugerechnet werden.“ Greenpeace kommt zu dem Ergebnis, dass beim Einbezug dieser indirekten Emissionen die Fleisch- und Milchindustrie im Jahr 2020 in Deutschland 120 Mt CO2e entlang der Lieferkette verursachte. Das UBA dagegen bezifferte die direkten Emissionen der Industrie auf lediglich 38 Mt CO2e.
Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 macht die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern 84 Prozent der Emissionen aus, die im Rahmen der deutschen Nahrungsmittelversorgung entstehen – ein deutlich höherer Wert als die aus den Werten der UBA hervorgehenden 51,9 Prozent.
Eine Wende in Richtung mehr pflanzlicher Ernährung ist laut dem sechsten Weltklimabericht des Weltklimarats außerdem sektorübergreifend die effektivste Shift-Strategie, um den Klimawandel zu bekämpfen.
Der Kohlenstoffkreislauf in der Rinderhaltung sei „insgesamt positiv fürs Klima”
2021 sagte Tönnies’ Leiter für Public-Affairs Thomas Dosch in einem Streitgespräch über die Klimafolgen von Fleischproduktion, dass bei Methan zwischen fossilem und biogenem Methan unterschieden werden müsse: “Das biogene Methan der Kühe wird in CO2 umgewandelt und dann wieder im Gras gebunden, das die Kühe fressen. Das ist ein Nullsummenspiel und insgesamt positiv fürs Klima.” Auch auf seiner Website schreibt Tönnies, Methan habe bei gleichbleibender oder abnehmender Rinderherdengröße “keinen wachsenden negativen Effekt auf das Klima, weil es über einen Zeitraum von neun bis zwölf Jahren in CO2 umgewandelt wird” und Pflanzen daraus Kohlenhydrate produzierten.
Eine Studie der Universität Oxford bezeichnet die aktuelle Zunahme von atmosphärischem Methan als “sehr besorgniserregend”, weil Methan ein wirkungsstarkes Treibhausgas ist, so dass “selbst geringe Konzentrationszunahmen immense Klimafolgen haben.“ Die Nachhaltigkeitsorganisation Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) betrachtet die Senkung von Methanemissionen als unerlässliche Klimastrategie und bezeichnet die Behauptung, dass biogenes Methan nur zehn Jahre in der Atmosphäre verbleibt als “irreführend” angesichts der Tatsache, dass laut dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) nur noch wenige Jahre zur Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels bleiben.
Die Fleischproduktion sei laut Tönnies bereits weniger emissionsintensiv
In seiner Nachhaltigkeitsstrategie schreibt Tönnies, das Unternehmen arbeite an der Herstellung von “möglichst klimafreundlich erzeugte[m] Schweine- und Rindfleisch”. Tönnies gibt weiterhin an, dass der Landwirtschaftssektor seit 1990 über 20 Prozent weniger Treibhausgase trotz Steigerung seiner Produktionsmenge ausstoße. Tönnies behauptet, verglichen mit 1990 stoße die Schweinehaltung 4,8 Prozent weniger CO2, 4,8 Prozent weniger Lachgas, 14,6 Prozent weniger CO2-Equivalente und 22,4 Prozent weniger Methan aus.
GRAIN und das Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) bewerten „Argumente für eine Reduzierung der Emissionsintensität [von Fleisch] in Ermangelung von Zielen zur Senkung der Gesamtemissionen des Nutztiersektors“ als gefährlich. Die Organisationen stellen fest, dass „die beträchtlichen ‚Effizienzgewinne‘, welche die industrielle Landwirtschaft im 20. Jahrhundert erzielt hat, ohne massive ökologische, soziale und gesundheitliche Folgen schwer wiederholbar sind.“
Laut dem Thünen-Institut sank der Treibhausgasausstoß der deutschen Landwirtschaft nach 1990 aufgrund der Abnahme an Tierbeständen und einem Rückgang der Menge an ausgebrachtem synthetischem Dünger. Ein Greenpeace-Bericht aus dem Jahr 2021 stellte fest, dass die gesunkenen Emissionen außerdem auf die Dürreperioden der drei vorher gegangenen Jahre zurückzuführen waren. Die Futtermittelknappheit führte zu geringeren Tierbeständen.
„Kühe bewahren Grasland und sind damit gut fürs Klima.“
2021 sagte Tönnies’ Leiter für Public-Affairs Thomas Dosch in einem vom gt!nfo Stadtmagazin veröffentlichten Streitgespräch mit dem SPD-Landtagskandidaten Stefan Schneidt: „Rinderhaltung in Deutschland hat eine wichtige Funktion im Ökosystem. […] Grasland ist nach Mooren und vor Wäldern und vor Ackerland der wichtigste Kohlenstoff-Speicher. Kühe bewahren Grasland und sind damit gut fürs Klima.”
Umweltwissenschaftler*innen der Universität Oxford kritisieren die Vorstellung, dass durch Weidehaltung Kohlenstoff im Boden gebunden werden kann, weil Beweidung letztendlich nur 20 bis 60 Prozent der Gesamtemissionen der Branche kompensiere. Die Wissenschaftler*innen stellen fest, dass „auch Rinder aus reiner Grasfütterung netto zur Erderwärmung beitragen.“
Die US-amerikanische Umweltgruppe Center for Biological Diversity schreibt außerdem, dass „die ökologischen Auswirkungen von Weideviehhaltung die Kosten jeder anderen Form von westlicher Landnutzung übersteigen.“ Auch eine Studie von Wissenschaftler*innen der University Alberta aus dem Jahr 2020 warnt, dass die Ausweitung der globalen Weidefläche zur Deckung des zukünftigen Nahrungsbedarfs die Artenvielfalt von Pflanzenfressern und Bestäubern weltweit gefährde.
Tönnies wirft Wissenschaftler*innen ungenaues Arbeiten vor
2021 kritisierte Tönnies einen Bericht der Umweltorganisationen GRAIN und dem Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP), laut welcher die Emissionen des Unternehmens von 2016 bis 2018 um 30 Prozent gestiegen sind und im Jahr 2018 insgesamt 10,9 Mt CO2e betrugen. Tönnies schrieb in einer Pressemitteilung, die Autor*innen der Studie hätten “den Ausstoß jedoch nicht wissenschaftlich belegt oder berechnet, sondern auf Basis der Schlachtzahlen geschätzt”. Weiterhin kritisiert Tönnies, dass Scope 3 Emissionen in die Berechnung eingeflossen sind, da diese “unabhängig davon, wo die Tiere geschlachtet und verarbeitet werden”, anfallen würden.
Im selben Jahr kritisierte Tönnies Qualitätsmanager Gereon Schulze Althoff auf dem Blog des Unternehmens den von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegeben “Fleischatlas 2021”. Laut Schulze Althoff würde der Fleischatlas aussagen, dass Rinderhaltung ein Klimakiller sei und behauptete, dass renommierte Wissenschaftler und Institutionen dem widersprächen. Der Blogeintrag verweist auf einen Artikel von top agrar, in dem Dr. Frank Mitloehner, Leiter des Fachbereichs für Tierwissenschaften an der University of California Davis, das von Kühen ausgeschiedene Methan als “recyceltes CO2” bezeichnet.
Der Fleischatlas 2021 zitiert Schätzungen der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), wonach Nutztierhaltung für 14,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, wovon wiederum 39 Prozent durch die enterische Fermentation von Wiederkäuern – einen Verdauungsprozess von Wiederkäuern – entstehen und empfiehlt eine Reduktion des Konsums von tierischen Produkten, um die Klimakrise einzudämmen.
Forscher*innen des Johns Hopkins Center for a Livable Future werfen dem von Tönnies herangezogenen Wissenschaftler Mitloehner vor, in seinen Untersuchungen „unvollständige Statistiken zu Treibhausgasemissionen [zu] verwenden, um die Umweltfolgen von Nutztierhaltung herunterzuspielen“. Das geschehe, indem er einen Fokus lediglich auf die enterische Fermentation lege und andere Nutztierhaltungsemissionen, die beispielsweise durch Futtermittelanbau und Landnutzungsänderungen entstehen, unberücksichtigt ließe.
Tönnies setzt auf „nachhaltig angebautes Soja“
Tönnies gibt in seiner Nachhaltigkeitsstrategie an, ab Ende 2022 ausschließlich Soja aus nachhaltigen Quellen verwenden zu wollen und keine Schweine mehr von deutschen Betrieben zu beziehen, die Soja aus Regenwaldgebieten verwenden. Dieses Ziel scheint jedoch noch nicht erreicht zu sein: Das Unternehmen gibt an, dass im Jahr 2023 erst 78 Prozent seiner Eiweißfuttermittel „nachhaltig angebautes Soja“ sei. Tönnies gibt an, mit der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen ein „tieroptimierte[s]-, nitrat- und sojareduzierte[s] Fütterungskonzept“ (Abkürzung: TONISO) entwickelt zu haben, um den Sojaanteil in Schweinefutter zu halbieren. Das Konzept sieht unter anderem vor, dass anstelle von Soja in Deutschland angebautes Futtermittel verwendet wird.
Auf der Webseite des Unternehmens möchte eine Person aus der Öffentlichkeit wissen, wie Tönnies der Abholzung des Regenwaldes entgegenwirkt und nachverfolgt, ob seine Lieferbetriebe Futtermittel aus nachhaltigen Quellen beziehen. Tönnies antwortete auf diese Frage, dass die Lieferbetriebe des Unternehmens Futtermittel “auf verschiedene Weise” beziehen und den Großteil selbst herstellen. Außerdem setze sich das Unternehmen „für eine Wiederzulassung von tierischen Eiweißprodukten [wie Sehnen, Knochen und Fleischabfälle] für die Fütterung von Schweinen und Geflügel ein“ um den deutschen Sojaschrot-Import zu verringern.
Wie eine Untersuchung des Bureau of Investigative Journalism zeigte, bezogen deutsche Handels- und Steakhausketten, darunter Tönnies, zwischen 2014 und 2019 mehr als 40.000 Tonnen Rindfleisch von den Fleischunternehmen JBS, Minerva und Marfrig Global Foods – Konzerne, die an der Abholzung von brasilianischem Regenwald beteiligt sind.
Ein Greenpeace-Bericht aus dem Jahr 2021 stellte außerdem fest, dass die Aussagen von Fleischindustrie-Lobbyverbänden wie die European Livestock and Meat Trading Union (UECBV), wo auch Tönnies Mitglied ist, zum Thema Futtermittel irreführend sind. Entgegen ihrer Behauptung, die Industrie hätte das Problem der Abholzung durch Zertifizierungsprogramme gelöst, geht die Abholzung des Regenwaldes für die Futtermittelproduktion laut Greenpeace weiter. Diese Programme beruhten häufig auf Freiwilligkeit und wiesen Schlupflöcher und andere inhärente Mängeln auf, so Greenpeace.